Jazz in Deutschland

Bericht zur Situation des Jazz in Deutschland

Nachdem der erste Bericht 2004 auf Bitten des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag durch die der Bundeskonferenz Jazz erstellt wurde, findet sich im Folgenden (hier als PDF zum Download) die umfassend aktualisierte Fassung, die im Juni 2014 veröffentlicht und dem Kulturausschuss übergeben wurde.

Zusammenfassung

Jazz ist ein eigenständiger und lebendiger Teil der Musikkultur in Deutschland. Die Musikpraxis und -rezeption dieser Kunstform hat hierzulande in den vergangenen Jahren eine beispiellose Entwicklung genommen. Den genuinen Eigenschaften des Jazz – Internationalität, Interkulturalität und Integration der Generationen – kommt in der pluralistischen Gesellschaft eine wachsende Bedeutung zu. In einer Zeit, in welcher der Musikkonsum zunehmend von Technologien bestimmt wird, ermöglicht das Live-Konzert als Herzstück des Jazz unmittelbare Teilhabe am musikalischen Prozess. Jazz und improvisierte Musik als Kulturpraxis nachhaltig und systematisch zu stärken, ist eine zeitgemäße Herausforderung der Kulturpolitik in Bund, Ländern und Kommunen für die Zukunft der Musikausübung und -rezeption in Deutschland.

Die kulturpolitische Bedeutung des Jazz wurde in den vergangenen Jahren auch auf bundespolitischer Ebene verstärkt thematisiert und anerkannt. In dem Antrag „Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken“ des Deutschen Bundestages wurden 2007 erstmals zentrale Kernpunkte definiert und in den Folgejahren bei zahlreichen Anlässen und Initiativen wie der überfraktionellen parlamentarischen „Neigungsgruppe Jazz“ vertieft.

Darin heißt es unter anderem: „Der Deutsche Bundestag sieht daher besonders in der spezifischen Förderung von Spielstätten eine geeignete Möglichkeit, gerade auch Jazzmusik wirksam zu unterstützen. Als Kulturnation muss es unser Anliegen sein, dass Musikerinnen und Musiker ihre Kreativität nicht einseitig ökonomischen Interessen unterwerfen müssen.“ (Vgl. Bundestagsantrag der Fraktionen von CDU und SPD, Drucksache 16/5111 vom 25. April 2007, S. 4.)

Als Ergebnis dieser intensiven parlamentarischen Beschäftigung mit den besonderen Problemen in der Aufführungspraxis des Jazz wurde 2013 erstmals der Spielstättenprogrammpreis als Auszeichnung des Bundes für herausragende Aufführungsorte und Veranstaltungskonzepte in Pop, Rock und Jazz vergeben. Die Vergabe des Preises liegt in der Verantwortung der Initiative Musik gGmbH, die auf Betreiben des Deutschen Bundestages unter anderem für den Bereich Jazz als zentrale kulturpolitische Förderinstitution geschaffen wurde. Die Initiative Musik gilt es mit dem Ziel weiterzuentwickeln, nicht auf eine rein kulturwirtschaftliche Orientierung ihrer Förderinstrumente beschränkt zu bleiben.

Darüber hinaus bestehen weitere ungenutzte Potentiale, die der bundeskulturpolitischen Gestaltung bedürfen. So steht die langjährige Musikpraxis und Ausbildung zum/zur professionellen Jazzmusiker*in an Musikschulen und staatlichen Musikhochschulen in keinem Verhältnis zu deren Einkommenssituation im Beruf. Andere Tätigkeiten zur Bestreitung des Lebensunterhalts gehen zu Lasten der künstlerischen Kreativität und behindern die Berufsausübung als Musiker*in.

Deutschland hat eine vielfältige und ausgesprochen reiche Club- und Festivalszene. Neben professionellen Spielstätten gibt es traditionell viele ehrenamtliche Initiativen. Spielstätten werden bislang vor allem durch Kommunen und Bundesländer gefördert; von Festivals auf regionaler Ebene und solchen mit internationaler Strahlkraft gehen neue Impulse für den Jazz aus. Die Innovationskraft von Festivals wird bislang nicht ausreichend durch öffentliche Förderung gewürdigt.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind die wichtigsten Multiplikatoren für die Rezeption von Live-Jazz und Jazzproduktionen in Deutschland. Zwar kommen die Hörfunkprogramme der ARD ihrem Programmauftrag mit ca. 200 Stunden Jazzprogramm im Monat nach, im Ländervergleich jedoch unterschiedlich befriedigend. Im Fernsehen findet Jazz dagegen so gut wie gar nicht statt.

Der Musikmarkt für Jazz in Deutschland wird von kleinen Labels geprägt, deren Lage nach wie vor prekär ist. Der Ausbau der Exportförderung deutscher Jazzbands ist für Jazzlabels essentiell, um auf dem internationalen Markt bestehen zu können.

Mit dem German Jazz Meeting, dem die German Jazz Expo auf der Bremer Messe jazzahead! folgte, wurden seit 2006 wichtige Voraussetzungen geschaffen, Jazzmusiker*innen, Festivalmacher und Veranstalter*innen aus der ganzen Welt zu präsentieren. Dies hat die internationale Sicht- und Hörbarkeit sowie Wertschätzung von Jazz aus Deutschland enorm unterstützt.

Aus diesem Bericht ergeben sich die folgenden Kernziele, durch deren Umsetzung sich an zentralen Punkten der Jazz- und Förderlandschaft weitreichende Verbesserungen erreichen lassen und mit denen die großen Potentiale des Jazz in Deutschland weiter ausgeschöpft werden können:

1. Strukturierung des Aufgabenbereichs der Initiative Musik in einen künstlerisch-kulturellen und einen kulturwirtschaftlichen Zweig. Damit verbunden sind Änderungen in der organisatorischen Struktur (siehe Kapitel „Initiative Musik“ auf Seite 8).

2. Verstärkung der Exportförderung innerhalb eines Gesamtkonzeptes. Professionelle Präsentationsmöglichkeiten sowie planbare Programme der Tourförderung (siehe Kapitel „Exportförderung“ auf Seite 27).

3. Die Bundeskonferenz Jazz (BK Jazz) strebt mittelfristig das Strukturentwicklungsprogramm JazzPlan Deutschland zur nachhaltigen Verankerung des Jazz und seiner Sichtbarkeit in der deutschen Kulturlandschaft an (siehe Kapitel „Perspektive: JazzPlan Deutschland“ auf Seite 29).

Einleitung

Jazz in Deutschland ist mehr denn je auf der Höhe unserer Zeit: Seine Akteure leben und vermitteln kulturelle Vielfalt in der musikalischen Praxis und in der Lehre, im Konzertmanagement ebenso wie in der Tonträgerproduktion und in der Berichterstattung. Sie alle sind hochgradig mobil und bilden Netzwerke, sie entwickeln neue Formate für die Aufführung und Verbreitung von Jazz und improvisierter Musik.

Die Vielfalt an Stilen und möglichen Konstellationen zur Verwirklichung musikalischer Vorhaben zieht inzwischen Musiker*innen unterschiedlichster Nationalitäten nach Deutschland, um selbst Teil der neuen Entwicklungen des Jazz hierzulande zu sein. Als Musik, deren Herzstück das Konzert und sein Erleben ist, begegnet Jazz den fundamentalen Umwälzungen des Musikmarktes mit anhaltender Innovation.

Und doch mangelt es dem Jazz in Deutschland vielfach an gesellschaftlicher Anerkennung und geeigneten Rahmenbedingungen, um seinen Stellenwert in der Musiklandschaft voll zu entfalten. Musiker*innen eröffnet sich kaum eine Gelegenheit, ihre Werke gegen angemessene Gagen, ohne die Ausbeutung eigener zeitlicher und logistischer Ressourcen und ohne Aussicht auf eine spürbare Verbesserung ihrer Lebenslage kontinuierlich zu präsentieren.

Dem Publikum abseits von kleinen Spielstätten und Festivals bleibt die in Jazz und improvisierter Musik gelebte Vielfalt mangels institutioneller Förderung oft verschlossen. Dabei wäre es an der Zeit, abseits von vereinzelten Leuchttürmen und Nischenexistenzen verlässliche Strukturen zu schaffen, die dem Jazz in Deutschland auf breiter Basis gerecht werden. Die Akteure des Jazz eröffnen neue Perspektiven auf moderne Lebenswelten und auf das Miteinander der Generationen, der verschiedenen sozialen Milieus und Ethnien in der Gesellschaft. Jazz als Kulturpraxis nachhaltig und systematisch zu stärken, ist eine zeitgemäße Herausforderung für die Zukunft der Musikausübung und -rezeption in Deutschland.

Jazz als Kunstform

Jazz ist eine Zeitkunst – er entsteht und verklingt im Moment. Dieses Wesensmerkmal hat Jazz mit allen anderen Musikrichtungen gemeinsam, die für die Aufführung vor einem Publikum bestimmt sind. Anders als diese aber lässt Jazz gegenwärtige Entscheidungen zu, welche direkt im Verlauf des musikalischen Geschehens aufgehen. Daher wird Jazz von Akteuren und Publikum auch gerne mit dem Begriff der Freiheit assoziiert – in der Geschichte dieser ursprünglich afro-amerikanischen Musikform Jazz ein oftmals gefährdetes und gegen Widerstände verteidigtes Gut.

Im Jazz ist den Akteuren die Freiheit zur Aushandlung von Ideen gegeben, zum Streben nach einem gemeinsamen Klang ebenso wie zu Umwegen oder zur Suche. Der Freiheitsbegriff ist ebenfalls zentral für das Potential des Jazz, Zuschreibungen von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft und Ethnizität zu überwinden. Die Erlangung eines unverwechselbaren Klangausdrucks ist für Jazzmusiker*innen essentiell. Gegenwärtige Entscheidungen und unverwechselbarer Klangausdruck artikulieren sich in der Improvisation.

Das eigenständige Profil, welches Musiker*innen für den Jazz in Europa seit Ende der 1960er Jahre errungen haben, ist inzwischen auch über europäische Grenzen hinaus anerkannt.
Während viele Innovator*innen jener Jahre nach wie vor aktiv sind, treten vielerorts Musiker*innen der nachfolgenden Generationen selbstbewusst und mit eigenen Herangehensweisen an die Musik in Erscheinung. Für ihre Programme lassen sich in groben Zügen vier Tendenzen beschreiben, die sich fraglos überschneiden können:

• Reflexion und Neu-Interpretation des Jazzidioms und klassischer Formationen des Jazz
• Integration und Transformation von Kompositionen anderer Genres der Musikgeschichte und populärer Musikformen in Jazz
• Neu-Gründungen großer Ensembles und originäre Kompositionen für diese
• Erkundung und Entfaltung der Elemente der Live-Performance in der Improvisation

Jazz in Deutschland

Jazz ist in Deutschland eine Musik der Metropolen und Metropolregionen. Demnach bilden Städte ab 100.000 Einwohnern den breiten Nährboden für die Jazzausübung und -rezeption. In Städten mit niedrigeren Einwohnerzahlen und ländlichen Regionen sorgen Jazz-Akteure, in einigen Fällen seit mehreren Jahrzehnten, für die Präsentation aktueller Tendenzen aus überregionalen und lokalen Szenen.

Die internationale Musikform Jazz erfährt in Deutschland eine anhaltende Ausdifferenzierung ihrer Spielarten. So stehen Swing, Blues oder Electro-Jazz eher für populäre Formen, freie Improvisation, momentbasierte Komposition oder genreübergreifende Projekte eher für avantgardistische. Die Grenzen der Genres sind ebenso durchlässig wie die Mobilität des Publikums: Neben Akteuren und Anhänger*innen spezifischer Spielarten bewegen sich Musiker/innen und Publikum heute vorbehaltlos und aufgeschlossen durch verschiedene Szenen.

Die Vitalität einer Szene wird begünstigt durch folgende Faktoren: Standort einer Hochschule mit Studiengängen für Jazz, Existenz von Spielstätten mit unterschiedlichen Programmen, kulturpolitische Förderinstrumente, von Musiker*innen in Selbstorganisation begründete Interessenvertretungen und Veranstaltungsreihen in wechselnden Konstellationen, Austausch mit Kunstschaffenden anderer Sparten, geografische Lage mit guter Anbindung an andere Städte und Regionen Deutschlands und in die europäischen Nachbarländer.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Jazz in Deutschland nur wenig von den Szenen der europäischen Nachbarländer, in denen Jazz ansonsten einen – historisch bedingten – sehr unterschiedlichen Stellenwert erfährt. (Vgl. Europe Jazz Network (EJN), Verband europäischer Jazz-Akteure aus den Bereichen Veranstaltung, Produktion, Management, Organisation. www.europejazz.net.)

Mit der Gründung der Initiative Musik gGmbH (finanziert mit Mitteln des Bundes, der GEMA und der GVL) wurde erstmalig auch auf Bundesebene die strukturelle und individuelle Förderung von Jazz, gleichberechtigt neben Rock- und Popmusik, ermöglicht. Seit der ersten Förderrunde 2009 spielen Jazz und improvisierte Musik hier eine wichtige Rolle. (Siehe: www.initiative-musik.de/foerderprogramme.html)

Starken Rückhalt findet der Jazz in den Kulturtourneen des deutschen Goethe-Instituts e.V. seit Mitte der 1960er Jahre. In den letzten Jahren hat das Musikreferat des Goethe-Instituts das Instrument der Tourförderung im Ausland grundlegend überarbeitet, wobei es neben vom Goethe-Institut organisierten oder mitgetragenen Veranstaltungen auch die Möglichkeit der Förderung selbst organisierter Auslandsgastspiele gibt.

Initiative Musik

2007 wurde vor dem Hintergrund des Antrags „Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken“ des Deutschen Bundestages die Initiative Musik gGmbH geschaffen. Deren Zielsetzung umfasst gemäß des Bundestagsbeschlusses neben Rock- und Popmusik ausdrücklich auch die Förderung von Jazzmusik. Damit ist sie eine der wichtigsten jazzkulturpolitischen Adressaten auf Bundesebene. Gemäß ihres Auftrags geht es dabei auch darum, „sicherzustellen, dass auch die improvisierte Musik, die weder der U- noch der E-Musik klar zuzuordnen ist, bei Förderung und Unterstützung der jeweiligen Bereiche mit einbezogen wird“. (Vgl. Bundestagsantrag der CDU- und SPD-Fraktion, Drucksache 16/5111 vom 25. April 2007, S. 5.)

Obwohl die finanziellen Bundesmittel derzeit ausschließlich aus dem Kulturhaushalt kommen und das für die Förderung der Kulturwirtschaft wesentlich zuständige Wirtschaftsministerium nur wenig Anteil hat, folgt die Initiative Musik einer zuvorderst kulturwirtschaftlichen Ausrichtung. Populäre Grenzbereiche des Jazz und deren Künstler*innen, die sich im Sinne der derzeitigen Ausrichtung fassen lassen, finden in der Initiative Musik damit seit jeher eine geeignete Fördereinrichtung. Zahlreiche Projekte wurden in diesem Rahmen bereits erfolgreich gefördert.

Allerdings werden durch diese wirtschaftliche Ausrichtung, die damit verbundenen Förderkriterien sowie die organisatorische Struktur der Institution die meisten aktuellen Tendenzen des Jazz gar nicht berücksichtigt. Dies gilt nicht allein für improvisierte Musik und kann ebenso andere künstlerisch hochwertige musikalische Bereiche betreffen, die sich ebenso wenig unter wirtschaftlichen Aspekten fassen lassen. Damit entspricht die derzeitige Praxis nur begrenzt der kulturpolitisch zugewiesenen Zielsetzung der Initiative Musik.

Als Beispiel für die Förderkriterien sei die generelle Notwendigkeit eines 60-prozentigen Finanzierungsanteils durch einen wirtschaftlichen Partner genannt, durch die eine Antragstellung im Bereich künstlerischer und nicht wirtschaftlicher Förderung von vornherein ausgeschlossen bleibt. Dies betrifft sowohl den Zweig der Künstler*innenförderung als auch den infrastrukturellen Bereich. Ein Beispiel für die kulturwirtschaftliche Ausrichtung in der organisatorischen Struktur ist das Fehlen einer unabhängigen Fachjury. Ebenso werden bislang relevante Gruppen aus diesen Bereichen nicht mit einbezogen, wenngleich das kulturpolitische Ziel formuliert ist, „in dieser Organisationsstruktur Gremien einzusetzen, die unter Einbeziehung verschiedener Bereiche populärer Musik, der/des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sowie des Deutschen Bundestages den zielgerichteten Mitteleinsatz gewährleisten“ (ebd.). Die Erweiterung der derzeitigen Ausrichtung durch die Umsetzung folgender Ziele ist auch ohne die Zuweisung weiterer Mittel umsetzbar.

Ziele für den Bereich: Initiative Musik

(1) Gliederung der Initiative Musik in einen künstlerisch-kulturellen und einen kulturwirtschaftlichen Zweig
(2) Schaffung einer oder mehrerer künstlerischer Entscheidungsinstanzen (unabhängige Fachjury) neben dem Aufsichtsrat; Trennung von künstlerischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Aufgaben nach dem Vorbild der Bundeskulturstiftung mit Stiftungsrat und Jury; Aufnahme von Vertreter*innen des Jazz in alle Gremien
(3) Ergänzung der Expertise auf Ebene der Geschäftsstelle um den künstlerisch-kulturellen Bereich
(4) Stärkere Übernahme finanzieller Verantwortung für kulturwirtschaftliche Förderbereiche durch inhaltlich mitzuständige Ressorts (BMWI)

Ausbildung / Schulen

Allgemeinbildende Schulen und Lehrer*innenbildung
Im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Staaten fehlt in Deutschland eine flächendeckende Einbindung des Jazz und der improvisierten Musik in die Bildungspläne der allgemeinbildenden Schulen. In der Sekundarstufe II (Klassenstufen 7 bis 10) ist in einigen Bundesländern keine verbindliche Vermittlung jazzhistorischer Zusammenhänge oder der Grundlagen musikalischer Improvisation vorgesehen. Jazz wird daher häufig im Lehrplan des Fachs Musik lediglich als ein Themenangebot unter vielen empfohlen. (Vgl. Gerhardt, Bert: Jazz in der Schule – nur für die Elite? In: Knauer, Wolfram (Hrsg.): Jazz. Schule. Medien., Hofheim 2012, S. 49 ff.)

Das ist eine vergebene Chance angesichts des in den meisten Lehrplänen verankerten Erwerbs interkultureller Kompetenz und Reflexionsvermögens kultureller Identität im Spektrum fremder und eigener, überlieferter und gegenwärtiger Musikkulturen, wie sie im Jazz entwickelt und gelebt werden. Darüber hinaus kann der Musikunterricht den Beitrag des Jazz zum Dialog und zur Kooperation zwischen den Generationen aktiv nutzen.

Die Einbindung von aktiven Jazzmusiker*innen in Workshops (Schul-Bigbands, Jazzcombos) wird von Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen zunehmend als pädagogisch wirkungsvoll erachtet. Kultusministerien und Schulämter erkennen, dass Jazzmusiker*innen Teilhabe am gegenwärtigen musikalischen Gestaltungsprozess vermitteln und zum Ausdruck der eigenen Person ermutigen.

Die Nachfrage nach Fortbildungen für Lehrkräfte in jazzmusikalischer Bildung ist höher als das Angebot. Die Akademie Remscheid bietet seit vielen Jahren jazzpädagogische Weiterbildungen für Fachkräfte an; die Kurse für Musikpädagog/innen der Landesmusikakademien richten sich an Lehrer*innen städtischer Musikschulen.

Musikschulen und freie Schulen
An den meisten privaten und kommunalen Musikschulen ist Jazz im Unterrichtsangebot enthalten. Neben jazzspezifischen Instrumentaltechniken und Vermittlung der Fertigkeiten zur Improvisation werden auch popmusikalische Techniken und Fertigkeiten vermittelt.

Die Musikschulen sind als primärer Lernort für den Erstkontakt von Kindern und Jugendlichen mit Jazz, für die Vertiefung jazzmusikalischer Kenntnisse und Fähigkeiten und für die Vorbereitung auf ein Hochschulstudium von herausragender Bedeutung. Ihr Fortbestehen kann angesichts klammer öffentlicher Haushalte und den damit verbundenen prekärer werdenden Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte nicht als gesichert gelten.

Freie Schulen bilden in der jazzmusikalischen Ausbildung in Deutschland seit jeher eine bedeutende Rolle. Lange bevor an staatlichen Musikhochschulen der Jazz als Teil des universitären Kanons anerkannt wurde, bildeten diese meist aus lokalen Jazzmusiker*innen-Initiativen hervorgegangenen Einrichtungen Jazznachwuchs aus (z.B. Offene Jazz Haus Schule Köln seit 1980, FMW Frankfurter Musikwerkstatt seit 1984, Jazz & Rockschulen Freiburg seit 1984, Jazzschule Berlin seit 1999). Heute können dort zum Teil staatlich anerkannte Abschlüsse zum/zur Berufsmusiker*in gemacht werden.

Musikhochschulen
In Deutschland gibt es 18 staatliche Musikhochschulen mit einem Studiengang Jazz/Rock/Pop und den Abschlussprofilen eines pädagogisch-praktisch ausgerichteten und/oder eines künstlerisch ausgerichteten Bachelor- bzw. Masterabschlusses. (Berlin, Bremen, Detmold, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim, Mainz, München, Nürnberg, Osnabrück, Saarbrücken, Stuttgart, Weimar, Würzburg.) Die meisten der Studiengänge zielen auf die pädagogische Befähigung, folglich wirken Absolvent/innen neben ihrer künstlerischen Tätigkeit als Instrumentallehrer*innen in der musikalischen Bildungsarbeit.

Die Musikhochschulen stehen zum Teil unter großem Druck seitens der Landespolitik. Die Zusammenlegung von Standorten ist ebenso in der Diskussion wie die Praxistauglichkeit der Studienordnungen und die Integration der Hochschulen in die bestehenden lokalen und regionalen Jazzszenen. (Vgl. Rechnungshof des Landes Baden-Württemberg: Beratende Äußerung. Die Musikhochschulen in Baden-Württemberg. Bericht nach §88 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung. Juli 2013.)

Eine dringliche und von den Lehrenden in den Jazzstudiengängen wenig beachtete Problematik ist die fehlende Eingliederung der Jazzforschung in die Musikwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten. Einzig die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar verfügt derzeit über einen Lehrstuhl und ein eigenes Studienprofil zur Geschichte des Jazz und der populären Musik. (Siehe: www.hfm-weimar.de/972/.)

Ziele für den Bereich: Ausbildung / Schulen

(1) Verbindliche Aufnahme von Jazz in die Bildungspläne für die Sekundarstufe II
(2) Entwicklung von Weiterbildungsprogrammen im Bereich Jazz und Improvisation für Musiklehrer*innen an Allgemeinbildenden Schulen
(3) Finanzielle Förderung von Workshop-Konzepten und Schulkonzerten
(4) Stärkung der Kooperation von Schulen mit außerschulischen Partnern (Musikschulen, Jazzmusiker*innen)
(5) Flächendeckende Sicherung der kommunalen Musikschulen und Erhöhung der Stundenkontingente für Jazz
(6) Verbesserung der Zusammenarbeit verschiedener musikalischer Fachbereiche an Hochschulen und Stärkung der Position der Lehrbeauftragten im Bereich Jazz
(7) Entwicklung von Steuerungsinstrumenten zur Erhöhung des Frauenanteils am Lehr- und Führungspersonal an den Hochschulen
(8) Eingliederung der Jazzforschung in die Musikwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten
(9) Entwicklung eines Förderprogramms für Hochschulabsolvent*innen für den erfolgreichen Start ins Berufsleben

Jugendensembles / Wettbewerbe

Schüler- und Jugend(big)bands bringen junge Menschen häufig zum ersten Mal aktiv in Kontakt mit dem Jazz. Dies gilt es zu fördern und zu stärken. An der Spitze der Jugendjazzorchester in Deutschland steht das Bundesjazzorchester (BuJazzO) in Trägerschaft des Deutschen Musikrats. Es repräsentiert die sinnvoll aufbauende Struktur musikalischer Bildung in Deutschland und gibt insbesondere dem Jazznachwuchs eine Zielperspektive. Das Wirken und die musikalische Kompetenz dieses Orchesters haben seit dem Jahr 1988 hohe Bedeutung für das Selbstbewusstsein, die Seriosität, Professionalität sowie Akzeptanz des Jazz in Deutschland. Motivation und Vorbildcharakter wirken dabei wieder direkt über die jeweiligen Landesjugendjazzorchester zurück an die Basis.

Bereits in den 1980er Jahren gab es in einzelnen Bundesländern Landeswettbewerbe Jugend jazzt, denen 1997 die erste länderübergreifende Bundesbegegnung Jugend jazzt unter der Trägerschaft des Deutschen Musikrats folgte. Die von den Landesmusikräten getragenen Wettbewerbe Jugend jazzt (Kategorie „Jazzorchester“ in geraden und „Combos“ in ungeraden Jahren) finden meist an musik- und bildungsbezogenen Standorten wie Hochschulen, Konservatorien, Musikschulen, Gymnasien und Bildungswerken, aber auch in Kulturzentren und Orten ohne primären Musikbezug statt. Seit 1997 findet die Bundesbegegnung Jugend jazzt alle zwei Jahre in wechselnden Städten statt, seit 2010 sogar jährlich.

Manche Bundesländer kooperieren für die Durchführung der Wettbewerbe (Saarland und Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern), in Sachsen ist Jugend jazzt in den Landeswettbewerb Jugend musiziert integriert. Wettbewerbe für Solisten finden in Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen in Kombination mit dem Combo-Wettbewerb statt, dagegen in Nordrhein-Westfalen mit dem Orchesterwettbewerb. Und in Sachsen finden Orchesterwettbewerbe immer nur in geraden Jahren statt.

Die Anzahl von teilnehmenden Jazzorchestern an den Landeswettbewerben ist in fast allen Bundesländern gestiegen, jene der teilnehmenden Combos dagegen gesunken. Das erhöhte Engagement von Jugendlichen in Jazzorchestern deutet auf die Festigung der dafür notwendigen Strukturen hin, während die Abnahme der Beteiligung von Jazzcombos Anlass zur Sorge gibt. (Quelle: Umfrage unter den Projektleiter*innen der Landeswettbewerbe Jugend jazzt von Okt. 2013 bis März 2014; keine Angaben aus Bayern, Bremen, Hamburg und Thüringen (unveröffentlicht).) Um junge Musiker*innen darin zu bestärken, sich auch im kleinen Bandformat mit Jazz und improvisierter Musik auseinanderzusetzen, bedarf es attraktiver Anreize.

Ziele für den Bereich: Jugendensembles / Wettbewerbe

(1) Keine Einengung auf Elite- und Talentförderung bei Landesensembles und Erweiterung der Auswahl- und Wettbewerbsmöglichkeiten
(2) Erweiterung des Teilnehmerfeldes bei der Bundesbegegnung Jugend jazzt (etwa Teilnahme für mehr als nur ein Ensemble je Bundesland)
(3) Gezielte Anreize zur Teilnahme an Wettbewerben und Workshops für Jazzcombos und deren Lehrkräfte

Situation von Jazzmusiker*innen

Einkunftsarten
Die soziale Lage von Jazzmusiker*innen ist wie bei anderen freien Künstlerberufen von großen Unsicherheiten geprägt. Im Jazzbereich gibt es in Deutschland einige wenige feste Orchesterstellen (Rundfunkbigbands der ARD) und eine geringe Anzahl von Hochschulprofessuren. Die 1983 eingerichtete Künstlersozialkasse übernimmt den Arbeitgeberanteil von Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung und ist somit eine wesentliche Einrichtung für hauptsächlich freiberuflich tätige Jazzschaffende.

Einkünfte werden in vier Feldern erzielt:
1. Gagen: Konzerte, Studioproduktionen, kommerzielle Auftritte (Kongresse, Feiern, Hintergrundunterhaltung, Tanzmusik, etc.)
2. Künstlerische Projekte: Auftragskompositionen, Aufträge für Arrangements, Studioaufnahmen & Tonträger-Produktion, künstlerische Beratung, künstlerische Leitung (Spielstätten, Festivals, Konzertreihen, etc.)
3. Vergütung in Form von Tantiemen für Kompositionen (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte GEMA) & interpretatorische künstlerische Leistung (GVL)
4. Pädagogische Tätigkeit: Hochschulen, berufsvorbereitende Ausbildung, Musikschulen (öffentlich und privat), allgemeinbildende Schulen, Volkshochschulen, Workshops, Privatunterricht

Die ersten drei Einkommensfelder sorgen in der Regel weder einzeln noch in Kombination für ein existenzsicherndes Einkommen. Insbesondere bei Gagen ist die Situation häufig hochproblematisch, weshalb ein breites Bündnis aus Musiker*innen und Veranstalter*innen eine Willenserklärung vorgelegt hat, in der angemessene Konditionen für ausführende Künstler*innen verankert sind. Diese Erklärung benennt einen Mindeststandard für Auftrittsgagen (250,- / 500,- Euro pro Person bei Konzert bzw. Festivalauftritt) bei gleichzeitiger öffentlicher Förderung der Spielstätte. (Siehe: www.u-d-j.de/ziele/willenserklarung)

Arbeitsfelder
Eine hauptberufliche Tätigkeit als Komponist/in, Arrangeur/in oder Musikproduzent/in ist im Jazz äußerst selten. Die Vergütung durch die GEMA betrifft nur als Komponisten tätige Jazzmusiker*innen und ist trotz erheblicher Verbesserungen in der Punktwertung von Jazzstücken nicht signifikant. Ursache ist die vergleichsweise geringe mediale Verbreitung von Jazz. Gleiches gilt für Vergütungen der GVL, verursacht unter anderem durch deren Harmonisierung und die abnehmenden Verkaufszahlen von Tonträgern auf einem von Umbrüchen gekennzeichneten Markt. Um ein kontinuierliches und zuverlässiges Einkommen zu erzielen, üben die meisten Jazzmusiker*innen auch eine pädagogische Tätigkeit aus.

Eine große Zahl von Jazz-Profis verfügt über nebenberufliche Standbeine, die nicht notwendigerweise einen Musikbezug haben müssen, sich aber oftmals aus den Sekundärfähigkeiten, die für Freiberufler unabdingbar sind, herausbilden. Dazu gehören:

• Kultur-, Musik- und Tourmanagement
• Booking, Pressearbeit und Promotion
• Labelmanagement, Musikvertrieb (Tonträger/Digital), Verlagswesen
• Steuerberatung
• Web- und Grafikdesign
• Instrumentenbau, Musikalienhandel

Dieses „Patchwork“ aus unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern mit verschiedenen Anforderungen geht oftmals zu Lasten der künstlerischen Kreativität und behindert die eigentliche Berufsausübung.
Derzeit liegt keine verlässliche empirische Abbildung der tatsächlichen Einkommenssituation und damit der sozialen Lage im Berufsbild „Jazzmusiker*in“ vor. Die Durchführung einer direkten Befragung der Jazzschaffenden ist die einzige Möglichkeit, um belastbare Befunde zur Lebens- und Arbeitssituation von Jazzmusiker*innen in Deutschland zu erhalten. Die Union Deutscher Jazzmusiker hat gemeinsam mit der IG Jazz Berlin, dem Jazzinstitut Darmstadt und mit Unterstützung durch den Projektpartner Musikinformationszentrum des Deutschen Musikrat (MIZ) eine Studie konzipiert, die diese Wissenslücken schließen soll.

Ziele für den Bereich: Situation von Jazzmusiker*innen

(1) Durchführung einer Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Jazzmusiker*innen in Deutschland; darauf folgt: Entwicklung von bedarfsgerechten jazzpolitischen Maßnahmen
(2) Kulturpolitische Anerkennung von Mindeststandards bei Konditionen für Jazzmusiker*innen; Grundlage: Willenserklärung von Union Deutscher Jazzmusiker und zahlreichen Veranstalter*innen
(3) Stärkung der Künstlersozialkasse
(4) Künstlerresidenzen bzw. Stipendienprogramme durch Schaffung finanziell abgesicherter Rahmenbedingungen für interdisziplinäre, pädagogische Projekte und Projekte der Publikumsbildung

Spielstätten

Deutschland hat eine vielfältige und ausgesprochen reiche Club-Szene, die unterschiedlich organisiert ist. Ehrenamtliche Initiativen organisieren regelmäßige Konzertreihen meist in festen Clubs, Lokalen (Bars, Cafés, Restaurants) oder öffentlichen Räumlichkeiten. Daneben gibt es professionelle Spielstätten mit festem Personal, regelmäßigem Programm und (im Idealfall) öffentlich gefördertem Kulturauftrag.

Der Wegweiser Jazz des Jazzinstituts Darmstadt verzeichnet über 700 Spielorte für Jazz in Deutschland, von denen die erheblich kleinere Anzahl der Kategorie professioneller Spielorte zugeordnet werden kann. (Siehe auch: www.jazzinstitut.de/Jazzclub-Report_2014.pdf) Spielstätten kleiner und mittlerer Größe sind die wichtigste Arbeitsstätte für professionelle Jazzmusiker*innen. Spielstätten mit Jazzprofil präsentieren sämtliche Spielarten dieser Musik, mehr und mehr Spielstätten mit anderen Programmen öffnen sich inzwischen dem Jazz. Daneben wird Live-Jazz immer häufiger in Lokalen, Cafés und Kneipen junger Betreiber/innen gespielt.

Die meisten Spielstätten für Jazz sind aus privater Initiative entstanden, und ihre Entwicklung zu professionell geführten Spielstätten mit inhaltlich, künstlerisch ausgerichteter Programmpolitik steht und fällt mit dem persönlichen Engagement der jeweiligen Betreiber/innen. Diese bedürfen dringender Unterstützung, damit sie im Rahmen der Generationenwechsel nicht verloren gehen. Die öffentliche Unterstützung durch Länder und Gemeinden ist meist unzureichend und auf kurzfristige Projektmittelförderung beschränkt. (Vgl. Deutsche Jazz Föderation: Die Spielstätten des Jazz, Deidesheim, 2014, http://metropolnews.info/node/70792)

Ziele für den Bereich: Spielstätten

(1) Vorrang von künstlerisch ambitionierten Spielstätten bei der Vergabe von kommunalen, Landes- und Bundesmitteln
(2) Sicherung des Spielstättenprogrammpreises (SSPP) [heute APPLAUS] der Initiative Musik gGmbH in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes
(3) Finanzielle Förderung der Preisträger SSPP [heute APPLAUS] auf Landes- und kommunaler Ebene (Bundesmittel ersetzen nicht notwendige institutionelle Förderung)
(4) Öffnung etablierter Orte für Jazz; genre- und spartenübergreifende Durchlässigkeit der Kulturorte
(5) Entwicklung geeigneter Maßnahmen zum Erhalt der bestehenden Clubs durch Fortbildungsangebote für ehrenamtliche Betreiber/innen und begleitete Generationenwechsel

Festivals

Festivals sind eine wichtige Säule der Jazzkultur in Deutschland. Neben einigen namhaften Festivals mit großer Tradition und internationaler Strahlkraft wie dem Jazzfest Berlin, dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt, Enjoy Jazz in Mannheim/Heidelberg, dem moers festival oder jazzahead! in Bremen gibt es in vielen Bundesländern regional ausstrahlende Großereignisse. (Siehe auch: www.jazzinstitut.de/Jazzfestival-Report_2014.pdf)

Festivals bieten dem Publikum konzentrierte Einblicke in aktuelle Entwicklungen des Jazz aus dem In- und Ausland. Sie geben Musiker*innen oftmals die einzige Möglichkeit, eigene große und finanziell aufwändige Projekte oder Auftragskompositionen zu realisieren. Konzertmitschnitte von Festivals durch die Rundfunkanstalten finden weit über deren Zeitrahmen und geografische Lage hinaus Verbreitung. Zunehmend kommt der Impuls für lokale Festivals aus der Musikszene selbst. (Z.B. winterjazz Köln, KLAENG-Festival Köln, Kollektiv Nights Berlin)

Festivals können Schwerpunkte setzen und Profile ausbilden – das macht sie für Musiker*innen und Besucher*innen gleichermaßen attraktiv. Von Festivals gehen neue Impulse für den Jazz aus, weil sie immer auch Foren des Austauschs über Musik sind. Eine stärkere öffentliche Unterstützung ermöglicht sinnvolle Weiterentwicklungen, durch die internationale Bedeutung und die Qualität von Festivals in Deutschland weiter befördert würden.

Ziele für den Bereich: Festivals

(1) Entwicklung geeigneter Instrumente zur Kooperation zwischen Jazzfestivals und lokalen sowie öffentlichen Partnern
(2) Stärkere Beteiligung von Musiker*innen bzw. Bands aus Deutschland in den Hauptprogrammen der Jazz-Festivals
(3) Stärkung der Vernetzung zwischen Veranstalter*innen

Jazz und andere Künste

Jazz findet in Deutschland vielfach an Spielstätten der Darstellenden Künste statt, etwa in eigenen Konzertreihen oder als Gastveranstaltungen, mit langjähriger Tradition oder als einmalige Abwechslung im Spielplan. Regelmäßige Konzerte dieses Veranstaltungstyps gibt es mittlerweile in vielen deutschen Theaterhäusern und Galerien. (Z.B. an den Theatern Essen, Gütersloh, Krefeld, Mönchengladbach, Magdeburg, Mannheim, Münster oder am Theater Osnabrück)

Darüber hinaus bietet die strukturelle Offenheit des Jazz Künstler*innen anderer Sparten kreative Anreize, die Bedingungen ihrer Schaffensprozesse zu hinterfragen, ihre Perspektive auf die Begegnung zwischen Publikum und Akteuren zu erweitern und Genregrenzen zu überschreiten.

Als paradigmatisch für diese Entwicklung können Produktionen gelten, die Jazzmusiker*innen und Choreograf*innen bzw. Tänzer*innen gemeinsam verwirklichen. Sie scheinen dem Bedürfnis zeitgenössischer Musiker*innen und Tanzschaffenden nach künstlerischen Begegnungen auf Augenhöhe Ausdruck zu verleihen. Die Form des Austauschs reicht dabei von gemeinsam konzipierten und gestalteten Improvisationsabenden über Auftragskompositionen bis hin zu choreografierten Aufführungen für ein Ensemble mit Live-Musik. Spielstätten sind sowohl freie Produktionshäuser als auch große und kleine Bühnen städtischer Theater. (Z.B. Tanzhaus NRW/Düsseldorf; Sophiensäle/Berlin, Volksbühne/Berlin; Schauspiel Frankfurt Box/Frankfurt a.M.; Musiktheater im Revier/Gelsenkirchen; Staatsoper/Hamburg; Lister Turm/Hannover; Nationaltheater/München; Volkstheater/Rostock; Stadttheater/Rüsselsheim; Staatstheater/Saarbrücken)

Die stetige Arbeit an einem Projekt über einen bestimmten Zeitraum eröffnet Jazzmusiker*innen, anders als der mitunter schnelllebige Konzertbetrieb, vertiefende Möglichkeiten der Kreation, Reflexion und des Austauschs mit künstlerischen Mitstreiter*innen und dem Publikum. Besucher*innen einer Produktionsstätte für Darstellende Kunst kommen in diesem Kontext mit Jazz auf neue Weise in Berührung. Die von den Künstler*innen gewählten Produktionsformen bieten eine Vielzahl denkbarer Kooperationen lokaler und überregionaler Partner. Unter finanziell gesicherten Rahmenbedingungen können Musiker*innen über einen bestimmten Zeitraum Aspekte ihres Werkes nicht nur deutlich umfassender offenlegen, sondern ein Publikum auch wirksam erschließen und binden. Ein geeignetes Instrument zur Umsetzung interdisziplinärer Vorhaben sind rein musikalische oder auch interdisziplinäre Künstlerresidenzen.

Publikum

Jazz verbindet die informelle Teilhabe am gegenwärtigen musikalischen Prozess mit nachhaltigem Musik-Erleben und regt zur Reflexion der Vielfalt urbaner Lebenswelten an. Für die Wahrnehmung von Jazz sind Live-Konzerte daher von zentraler Bedeutung.

Dass die Umsatzanteile von Jazz am Gesamtumsatz der Musikindustrie mitnichten den Zuspruch der Bevölkerung in Deutschland zu Jazz widerspiegeln, zeigt ein Blick auf repräsentative Daten zu musikalischen Präferenzen und Konzertbesuchen der Gesamtbevölkerung, differenziert nach Altersgruppen, Geschlecht, Bildungsstand und Einkommen. (Im Jahr 2013 für Jazz 1,4%, laut Jahrbuch des Bundesverbandes Musikindustrie. Quelle: GfK Panel Services, siehe www.musikindustrie.de/download-jb2013-e-paper/ (5. April 2014). | Laut Zusammenstellung des Deutschen Musikinformationszentrums nach: Allensbacher Werbeträger Analyse, hrsg. vom Institut für Demoskopie Allensbach, Jahrgänge 2006-2013, siehe www.miz.org/statistiken/jazz-rock-pop-s1507 (5. April 2014). Der Zuspruch von Menschen mit Migrationshintergrund zu Jazz ist darin nicht gesondert erfasst. Allenfalls die musikalische Aktivität von 9- bis unter 25-jährigen Menschen mit Migrationshintergrund (2012 bei 31,2%) mag andeuten, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund sporadisch mit Jazz in Berührung kommen. Vgl. Bildung in Deutschland 2012. Ein Indikatoren gestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf, hrsg. v. der Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Bielefeld 2012, zusammengestellt vom Deutschen Musikinformationszentrum.)

Demnach ziehen deutlich mehr Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 29 Jahren Jazz der klassischen Musik vor, ihr Interesse am Besuch von Jazzfestivals ist hingegen gering (zwischen 5% und 7%). (Laut dem 2. Jugend-KulturBarometer rückt 2011 für die Bevölkerung ab 25 Jahre das Live-Erlebnis beim Kulturbesuch 2011 stärker in den Fokus, in den Altersgruppen darunter hat gute Unterhaltung einen höheren Stellenwert. Keuchel, Susanne/Larue, Dominic (Zentrum für Kulturforschung): Das 2. Jugend-KulturBarometer – Zwischen Xavier Naidoo und Stefan Raab, Köln 2012, S. 61.) Am höchsten ist der Anteil an Jazzhörer*innen unter den 50- bis 59-Jährigen (33,8%). Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist Jazz im Jahr 2013 für 27,6% der Männer und 27% der Frauen in Deutschland die bevorzugte Musikrichtung. Das Interesse an Jazz eint Menschen über ihren sozioökonomischen Status und ihr Lebensalter hinweg.

Damit leisten Jazz-Veranstaltungen einen wichtigen Beitrag zum Erleben von der Gemeinschaft der Generationen. Wie der Zuspruch zu Kulturbesuchen allgemein, bestätigt das Interesse der Menschen an Jazz in Deutschland ein altersspezifisches Rollenmodell – mit zunehmendem Alter werden eher etablierte Kultureinrichtungen bevorzugt. Angesichts des niedrigen und tendenziell sinkenden Zuspruchs von 14- bis 19-Jährigen zu Jazz scheint Audience Development für diese Gruppe angebracht, zumal weniger Jugendliche den eigenständigen Zugang zur musikalischen Praxis in einer Combo wählen (siehe Landeswettbewerbe Jugend jazzt). Entsprechende Projekte sollten jugendliche Erlebniswelten und den Faktor Unterhaltung berücksichtigen sowie möglichst in einem jugendgerechten Ambiente stattfinden. Auch in der Entwicklung der darauf folgenden Altersgruppen als Publikum liegt noch erhebliches Potential.

Ziele für den Bereich: Publikum

(1) Audience Development bei bestehenden Veranstaltungen zur Erschließung neuer Zuhörergruppen
(2) Audience Development in Verbindung mit Künstlerresidenzen und Stärkung der Vernetzung von Festival-Veranstalter*innen
(3) Audience Development für Jugendliche und junge Erwachsene auf breiter Ebene

Tonträgerwirtschaft

Die Musikwirtschaft erkennt in den vergangenen beiden Jahren einen „Silberstreif am Horizont“. Zwar sind die Verkäufe von CDs weiterhin rückläufig, aber erstmals fangen die Einnahmen aus Downloads und Streamings einen großen Teil wieder auf. Für Veröffentlichungen im Bereich Jazz und dort vor allem für die kleinen unabhängigen Labels ist die Situation aber nach wie vor existenzbedrohend. Diese engagierten und oft mit prekären Budgets ausgestatteten Kleinstfirmen sind es aber, die sich für den Nachwuchs sowie besonders risikoreiche, künstlerisch experimentierfreudige Projekte und Künstler*innen aktiv einsetzen. Die zuständige Förderinstitution Initiative Musik kann hier zwar punktuell Hilfe bieten, aber durch ihre Ausrichtung als Wirtschaftsförderinstrument kann sie nicht nachhaltig und strukturell bzw. auf rein künstlerischer Ebene wirksam werden.

Für die Musikwirtschaft ist die Verflechtung mit einer funktionierenden Exportförderung zentral, um den Markt vom begrenzten deutschen auf den europäischen und außereuropäischen erweitern zu können. Es gilt, für die in Deutschland tätigen Jazzmusiker*innen im europäischen Wettbewerb vergleichbare Bedingungen zu schaffen, und ihnen durch strukturfördernde Maßnahmen den Austausch mit Kolleg*innen anderer Länder sowie die Präsenz auf ausländischen Jazzbühnen zu ermöglichen. Hierzu gehören insbesondere auch Fördermittel für Auslandsreisen, die es deutschen Musiker*innen erlauben, mit den hoch bezuschussten Bands anderer Länder konkurrieren zu können.

Ziele für den Bereich: Tonträgerwirtschaft

(1) Stärkung kulturpolitischer anstatt wirtschaftspolitischer Förderinstrumente
(2) Stärkung der Maßnahmen zur Exportförderung

Medien

Selbst in Zeiten von Youtube, Spotify, Simfy und anderen Musik-Streaming-Portalen bleiben Radio und Fernsehen weiterhin wichtige Multiplikatoren für innovative Musikformen und nehmen insbesondere als Produzenten moderner Spielkonzepte des zeitgenössischen Jazz eine herausragende Rolle ein.

In Deutschland sind es fast ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sowohl für die Produktion als auch für die Rezeption des Jazz eine wichtige Rolle spielen. Der private Rundfunk in Deutschland dagegen ignoriert Jazz. Lediglich nicht-kommerzielle, lokale Radiosender berichten regelmäßig auch über Aktivitäten der örtlichen Jazzszene und deren Konzerte.

Webradios, Blogs und andere Online-Plattformen bedienen spezialisierte und weitgehend ausdifferenzierte jazzmusikalische Interessen. Nur wenige Formate bieten umfassende Information über die Vielfalt der Stile und Szenen. (Z.B. www.jazzplanet.de aus Berlin und www.jazzpages.com aus Neckarsteinach.)

Print und Online
Im Bereich der Blogs und Online-Portale zum Jazz bieten vier in Deutschland überregional erscheinende Zeitschriften neben ihren regelmäßigen Printausgaben einen umfassenden, journalistisch fundierten Überblick. (Jazz Podium (aus Stuttgart seit 1952, 11 Ausgaben pro Jahr), Jazzthetik (aus Münster seit 1987, 6 Ausgaben pro Jahr), Jazzthing (aus Köln seit 1993, fünf Ausgaben pro Jahr) und Jazzzeitung [Beilage der nmz] (aus Regensburg seit 1976, 5 Ausgaben pro Jahr).)

In den überregionalen Tageszeitungen (resp. deren Online-Ausgaben) gewinnt die Berichterstattung über Jazzkonzerte, Protagonist/innen oder kulturpolitische Debatten im Jazz an Gewicht. Quantitativ steht sie aber in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Aufkommen an Konzerten und aktuellen Entwicklungen der Musik. Gleichzeitig geht die Anzahl der festangestellten Musikredakteur*innen mit dezidiertem Wissen über Jazz in den Kulturredaktionen der Printausgaben kontinuierlich zurück, was eine differenzierte und umfängliche Berichterstattung über Jazz in den Feuilletons erschwert. (Vgl. Linke, Hans-Jürgen: Alltagsraunen. Über inhaltliche Fragen, Jazz in der Tagespresse, Feuilleton und andere langsam veraltende Probleme. In: Wolfram Knauer (Hrsg.): Jazz. Schule. Medien., Hofheim 2012, S. 175ff.)

Jazz im Fernsehen
Das Fernsehen spielt bei der medialen Verbreitung des Jazz eine untergeordnete Rolle. Es ist meist den Dritten Programmen vorbehalten, aktuelle oder historische Mitschnitte einzelner Jazzkonzerte zu nächtlicher Stunde zu senden. Die Gemeinschaftsprogramme von 3Sat und ARTE zeigen sporadisch internationale Dokumentationen, die Jazz zum Gegenstand haben. In den Kultursendungen der Hauptprogramme Das Erste und ZDF sind die aktuellen Strömungen des Jazz schwach repräsentiert, während in den eher auf ein jüngeres Publikum zielenden Digitalsendern Eins festival und ZDFkultur Jazz, mit Ausnahme von BR-alpha, nicht stattfindet. Der Fokus der Musiksendungen liegt dort auf ambitionierter Rock-, Pop- und Schlagermusik. (Eine Ausnahme ist das vom Bayerischen Rundfunk produzierte Magazin KlickKlack auf eins festival.)

Jazz im Hörfunk
Im Radiobereich verfügen die neun Landesanstalten der ARD sowie Deutschlandfunk (DLF) und Deutschlandradio Kultur (DLR Kultur) über eigene Jazzredaktionen, deren Programme feste Sendeplätze für Jazz beinhalten. Ihre Hörfunkprogramme senden etwas mehr als 200 Stunden dezidiertes Jazzprogramm pro Monat und sind damit der eigentliche mediale Verbreiter des Jazz in der Bundesrepublik. (Quelle: Jazz im ARD-Hörfunk im März 2014 – eine Stichprobe, Jazzinstitut Darmstadt (unveröffentlicht).)

Magazinsendungen werden dabei als Sendeformat von fast allen Radioanstalten präferiert. Diese befassen sich im Wesentlichen mit aktuellen Informationen zur Jazzszene und der Vorstellung von Neuveröffentlichungen im CD-Bereich. Weitestgehend erfüllen die öffentlich-rechtlichen Radioanstalten damit ihren vom Gesetzgeber geforderten Bildungs- und Informationsauftrag. Der Anteil der Live-Übertragungen von Konzerten, z.B. Mitschnitte großer deutscher Festivals, geht dagegen in den letzten Jahren zurück. Der Kostendruck auf die zuständigen Redaktionen hat insbesondere bei den kleinen Anstalten der ARD dafür gesorgt, dass Live-Produktionen von den Budgets der Redaktionen nicht mehr gedeckt sind. Meist übernehmen die großen Anstalten innerhalb der ARD hier aus Kostengründen die Produktion und überlassen das aufgezeichnete Material den anderen Redaktionen zur weiteren Verwertung.

Off-Air-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender
Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten – und mit ihnen die Jazzredaktionen als deren Teil – stellen einen beträchtliche Kultur- und Wirtschaftsfaktor in ihrem Verbreitungsgebiet dar. (Vgl. Olaf Zimmermann et al. (Hrsg.): Arbeitsmarkt Kultur. Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den Kulturberufen. Dt. Kulturrat, 2013, S. 19 und Kap. 4.2.3 und 5.2.3.) So entstanden auf ihre Initiative eigene Jazzfestivals bzw. Veranstaltungsformate (Deutsches Jazzfestival Frankfurt am Main, WDR-Jazzfestival, SWR NEWJazz Meeting Baden-Baden oder Jazzfest Berlin) und Musikpreise (z.B. WDR-Jazzpreis, SWR-Jazzpreis/Jazzpreis des Landes Rheinland-Pfalz) mit deutschlandweiter oder gar internationaler Ausstrahlung.

WDR, NDR und HR unterhalten Bigbands, die mit ihren Programmen und Konzerten auf deutschen Bühnen und Festivals präsent sind. Alle drei Bigbands genießen international einen herausragenden Ruf, was sich nicht zuletzt durch zahlreiche GRAMMY-Nominierungen und unzählige internationale Produktionen ausdrückt. Gleichzeitig engagieren sich die Bigbands in der Nachwuchsförderung durch eigene Programme. (Beispielhaft hier etwa die hr-Bigband aus Frankfurt/Main; siehe auch: Hessischer Rundfunk (Hrsg.): Große Musik für junge Ohren, Frankfurt/Main 2011.)

Der Bestand der großen Klangkörper innerhalb der ARD sorgt dafür, dass dort ohne wirtschaftlichen Druck anspruchsvolle künstlerische Projekte und damit weniger kommerzielle verwirklicht werden. Gleichzeitig erfüllen die Rundfunkbigbands in ihrer Vermittlerfunktion einen wertvollen pädagogischen Beitrag in der an Nachwuchs- und Schulbigbands reichen Jazzlandschaft Deutschlands.

Digitalisierung und Web-Radio
Kontrovers wird derzeit sowohl innerhalb der öffentlich-rechtlichen Radioanstalten als auch unter den Hörer/innen der Jazzprogramme der Wegfall gut eingeführter UKW-Frequenzen zugunsten einer Umstellung auf digitale Frequenzen (Stichwort DAB-Radio) und Internetradio-Formate diskutiert.

Die zunehmende Digitalisierung der Rundfunkprogramme bietet aber auch Chancen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Sie ermöglicht die Entwicklung neuer, flexibler Sendeformate für den Jazz und damit die aktive Erschließung neuer Hörergruppen. Die Erweiterung der Streaming- und Online-Angebote der Jazzredaktionen bei den öffentlich-rechtlichen Programmen und damit die nachträgliche Verfügbarkeit der Sendeinhalte etwa durch Podcasts und Mediatheken darf als Fortschritt für eine größere Verbreitung jazzspezifischer Formate gewertet werden.

Die Rolle der Rundfunkarchive bei der Bewahrung von zeitgeschichtlich bedeutenden Aufzeichnungen von Jazzkonzerten und -sendungen in den öffentlich-rechtlichen Programmen ist von großer kulturhistorischer Bedeutung.

Ziele für den Bereich: Medien

(1) Stärkung von jazzaffinen Autor*innen und Redakteur*innen in Feuilleton- und Kulturredaktionen der Tages- und Wochenzeitungen
(2) Entwicklung von genreübergreifenden Sendeformaten in Radio und Fernsehen
(3) Jazz als Teil des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms; kein „Abschieben“ der Jazzprogramme auf unattraktive Sendeplätze
(4) Stärkung der Jazzredaktionen und ihrer Budgets in den Anstalten
(5) Gründung von Rundfunk-Ensembles zur Einspielung von Material regionaler Musiker*innen (Beispiel HR-Jazzensemble) und Ausweitung von Kompositions- und Improvisationsaufträgen
(6) Mehr Live-Aufnahmen von Club-Konzerten aus kleineren Spielstätten sowie angemessene Mitschnittvergütungen für Künstler*innen

Netzwerke

Die Jazzszene lebt durch ihre Netzwerke. Diese sind zum Teil lose Zusammenschlüsse, zum Teil in Vereinen organisiert, verstehen sich als Verbände, sind feste Organisationen oder wirtschaftliche Unternehmen mit einem Fokus auf den Jazz. Zu diesen Netzwerken zählen lokale Initiativen und Jazzclubs (=Vereine), regionale Organisationen, (z.B. Jazz Alliance (Rhein-Neckar), jazzwerkruhr (Dortmund), Jazzmeile Thüringen, Jazzbüro Hamburg.) die Landesarbeitsgemeinschaften Jazz, Verbände wie die Union Deutscher Jazzmusiker, die Deutsche Jazz Föderation, die jazz+world partners, aber auch die Bundeskonferenz Jazz, Archive und Informationszentren wie das Jazzinstitut Darmstadt, das Klaus Kuhnke-Archiv für populäre Musik in Bremen oder das Lippmann+Rau Musikarchiv in Eisenach, der Verein Radio Jazz Research e.V. mit Sitz in Köln, der auf europäischer Ebene den Informationsaustausch zwischen Rundfunkjournalist*innen und Wissenschaft vertieft sowie nicht zuletzt auch die Messe jazzahead! in Bremen, die sich seit 2006 zu einem Treffpunkt etlicher dieser Netzwerke entwickelt hat. (Einen Überblick liefert der Wegweiser Jazz – Adressbuch zum Jazz in Deutschland herausgegeben vom Jazzinstitut Darmstadt (2009) oder unter www.wegweiserjazz.de.)

Den meisten dieser Netzwerke ist gemeinsam, dass sie, ob ehrenamtlich organisiert, als öffentliche Einrichtungen oder als Unternehmen, eine politische wie wirtschaftliche Stärkung der Jazzszene anstreben. Sie sehen den Jazz gerade in seiner künstlerischen Offenheit und seiner inklusiven Ästhetik als einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Kultur.

Ziele für den Bereich: Netzwerke

(1) Anerkennung und Unterstützung der ehrenamtlichen Strukturen ebenso wie der professionellen Strukturen von Veranstalter*innen, Festivals, Organisationen und Unternehmen
(2) Zentrale und besonders entscheidende Interessenvertretungen des Jazz sollten institutionelle Förderung erfahren

Exportförderung

Jazz aus Deutschland hat in seiner Vielfalt, Individualität und Innovationskraft zweifelsohne das Potential, zu einem wichtigen Aushängeschild aktueller, in Deutschland entstandener Musikkultur im Ausland zu werden.

Die bisherigen Fördermöglichkeiten können dem Jazz wegen ihrer geringen Zahl, ihrer mangelnden Flexibilität oder rein wirtschaftlichen Ausrichtung nur begrenzt gerecht werden. Mit dem German Jazz Meeting, auf dessen Einstellung die German Jazz Expo auf der Bremer Messe jazzahead! folgte, wurden seit 2006 wichtige Voraussetzungen geschaffen, dass Jazzmusiker*innen sich vor einer immer größer werdenden Zahl internationaler Festivalmacher*innen und Veranstalter*innen in Kurzkonzerten präsentieren können. Dies hat die internationale Sicht- und Hörbarkeit sowie Wertschätzung von Jazz aus Deutschland enorm unterstützt, kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Aufgrund einer nur sehr geringen öffentlichen Förderung werden für die teilnehmenden Bands der German Jazz Expo derzeit weder Reise- und Unterbringungskosten noch Rundfunkvergütungen oder Gagen gezahlt. Hier muss es der gemeinsame Anspruch der Verantwortlichen sein, ein professionelles Niveau zu erreichen.

Zur Nachhaltigkeit der oben genannten Präsentationsformate gehört als zweiter entscheidender Schritt die Förderung von internationaler Präsenz durch Unterstützung von Tourneen ins Ausland. Ein erheblicher Teil der in Folge der Präsentationen von ausländischen Festivalveranstalter*innen oder Agenturen geplanten Konzerttourneen kommt regelmäßig nicht zustande.

Eine Begründung dafür findet sich unter anderem in einer für eine angemessene Präsenz deutscher Jazzensembles auf ausländischen Bühnen nicht ausreichenden Tourförderung, die für internationale Veranstalter*innen ein weiterer Anreiz sein würde, innovative, aber in ihrem Land bislang wenig bekannte Ensembles zu buchen. Dies führt dazu, dass ausländische Veranstalter*innen in ihrer Programmplanung allein aus Kostengründen häufig auf geförderte und dadurch preiswertere Bands aus anderen Ländern zurückgreifen.

Trotz Kulturhoheit der Länder ist eine kulturelle Exportförderung notwendigerweise eine nationale Anstrengung und insofern originäre Bundesaufgabe. Es bedarf daher dringend einer konzertierten Aktion von Bundeskulturpolitik, auswärtiger Kulturpolitik und kulturwirtschaftlicher Exportpolitik, um ein substantielles Tourförderprogramm zu installieren, bei dem Jazzmusiker*innen aus Deutschland als lebendige Kulturbotschafter agieren können. Die internationale Bereitschaft, sie als solche zu empfangen, besteht zweifelsohne.

Ziele für den Bereich: Exportförderung

(1) Stärkung von Showcase-Veranstaltungen im Rahmen der Exportförderung mit angemessenen Konditionen für dort auftretende Künstler*innen
(2) Verlässliche Zusage von Tourförderung für Künstler*innen, die bereits für Showcase-Veranstaltungen ausgewählt wurden
(3) Gemeinsames Konzept für Tour-Fördermodule des Goethe-Instituts, der Initiative Musik und ggfs. weiterer Partner

Perspektive: JazzPlan Deutschland

Um die Eigenständigkeit und Vitalität des Jazz in Deutschland dauerhaft zu sichern, bedarf es eines breit angelegten Bekenntnisses zum Jazz als bedeutende Kulturpraxis. Auf dieser Grundlage sind systematische Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Vielfalt des Jazz und seine Innovationskraft für die Zukunft erhalten werden. Dringlicher als zuvor gilt es nun, die Weichen für weiterreichende künstlerische und strukturelle Entwicklungen des Jazz in Deutschland zu stellen. Um dies zu ermöglichen, sollte mittelfristig das Strukturentwicklungsprogramm JazzPlan Deutschland zur nachhaltigen Verankerung des Jazz und seiner Sichtbarkeit in der deutschen Kulturlandschaft umgesetzt werden. Der JazzPlan Deutschland umfasst folgende Förderschwerpunkte:

a) Durchführung eines Kongresses zur Förderung des Austauschs über Jazz auf künstlerischer und gesellschaftlicher, nationaler und internationaler Ebene verbunden mit einer Evaluation der Bedarfe und Verbesserungsmöglichkeiten im Jazz
b) Schaffung eines Nationalen Kompetenzzentrums Jazz zur strukturellen Planung und organisatorischen Durchführung des JazzPlan Deutschland in Abstimmung mit einem Kuratorium
c) Unterstützung von Projektpartnerschaften zwischen Jazzakteuren und lokalen bzw. überregionalen Partnern
d) Förderung von Künstler- und Kreativresidenzen an Spielstätten der Darstellenden Künste und der Musik
e) Förderung von Netzwerken zur Verbreitung innovativer Musikprojekte auf überregionaler Ebene
f) Förderung von Kooperationen zur Erschließung neuen Publikums für den Jazz und seine Präsenz in den Medien

Um den genannten Förderschwerpunkten gerecht zu werden, ist der JazzPlan Deutschland auf mindestens fünf bis acht Jahre angelegt und verfügt über einen Gesamtetat von 5 bis 8 Mio. Euro. Mit den zur Verfügung gestellten Mitteln werden deutschlandweit Projekte gefördert, die sich den Förderzielen verpflichtet fühlen und initiativ Maßnahmen unterstützen, die nachhaltige Auswirkungen auf die Jazzszene insgesamt erzielen. Die Bundeskonferenz Jazz schlägt vor, dieses Programm bei der Kulturstiftung des Bundes zu verorten.

Fazit

Jazz in Deutschland ist eine überaus innovative Kunstform. Seine Fähigkeit, Akteure über kulturelle Grenzen und Generationen hinweg in einen künstlerischen Dialog treten zu lassen, ist seit seiner Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert wegweisend für andere Musikpraktiken. Live-Jazzkonzerte faszinieren ein Publikum unmittelbar und befördern die Anerkennung und Wertschätzung von musikalischen Kunstfertigkeiten insgesamt. Um Jazz zu erleben, sind keine Schwellen von Herkunft, Wissen oder Zugehörigkeit zu überwinden, weshalb seine Bedeutung für die heutige Gesellschaft gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Damit der Zugang zu Jazz auf breiter Ebene entfaltet und für die Zukunft sichergestellt werden kann, sind umfassendere Maßnahmen notwendig, als sie derzeit existieren.

Für einen nachhaltigen Einstieg in eine Förderung des Jazz auf Bundesebene ist die Konzentration auf drei Bereiche empfehlenswert:

1. Erweiterung des Aufgabenbereichs der Initiative Musik sowie damit verbundene Änderungen in der organisatorischen Struktur (siehe Kapitel „Initiative Musik“)

2. Verstärkung der Exportförderung innerhalb eines Gesamtkonzeptes (siehe Kapitel „Exportförderung“)

3. Umsetzung des Strukturentwicklungsprogramms JazzPlan Deutschland (siehe Kapitel „Perspektive: JazzPlan Deutschland“)

Die Kulturnation Deutschland kann mit Stolz auf ihre kulturelle Vielfalt blicken. Um diese Kulturnation in der heutigen Zeit zu situieren, muss neben der wichtigen Bewahrung des kulturellen Erbes auch den gegenwärtigen Künsten eine angemessene kulturpolitische und mediale Relevanz zuerkannt werden. Die Gegenwärtigkeit des Jazz in Deutschland hält für diese Existenzgrundlage bedeutende Potentiale bereit, die es mit übergreifenden Anstrengungen auszuschöpfen gilt.

Der gesamte Bericht hier als PDF zum Download.

Literatur / Quellen

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Weiterführende Links

www.bk-jazz.de
www.jazzinstitut.de
www.u-d-j.de
www.djf.de
www.jazz-worldpartners.de
www.jugend-jazzt.de
www.jazzahead.de
www.miz.org
www.jazzzeitung.de/cms/series/beruf-jazzmusiker/
www.goethe.de/kue/mus/jaz/